"Eine Herbstsymphonie"von Joseph Marx24. und 25. Oktober 2005 im Stefaniensaal/Graz"recreation" - Großes Orchester Grazunter der Leitung von Michel SwierczewskiEIN BERICHT VON BERKANT HAYDINAutor von www.joseph-marx.org
Wie das Projekt entstandIm Jahre 2004 begab sich Michel Swierczewski *, Dirigent des Großen Grazer Orchesters "recreation" *, der zum damaligen Zeitpunkt die 1. Violinsonate von Joseph Marx kannte und sehr schätzte, auf die Suche nach einer besonderen Rarität, die eine Wiederentdeckung wert wäre. Er ließ sich von der Universal Edition die Partitur der Herbstsymphonie kommen. Die 280 Seiten starke, übergroße Partitur wurde daraufhin von ihm und einer Reihe von Orchestermusikern begutachtet, "voller Ehrfurcht", wie man mir nun erzählte. Als schließlich jedermann klar war, daß man es hier mit einem sehr außergewöhnlichen Mammutwerk zu tun hatte, besprach man die Angelegenheit mit Mathis Huber, dem Intendanten des Großen Orchesters Graz und der Styriarte-Organisation. Aufgrund der Tatsache, daß diese große Komposition des gebürtigen Grazers Joseph Marx seit ca. 80 Jahren nicht mehr erklungen war, gab Mathis Huber schließlich grünes Licht für eine Aufführung des Werkes im Herbst 2005. www.micmacmusic.com Eine komplex strukturierte Symphonie der SuperlativeBevor man auch nur ein einziges Wort über die musikalischen und kompositorischen Qualitäten der Herbstsymphonie und über die aufführungstechnische Leistung des Großen Grazer Orchesters "recreation" und seines Dirigenten Michel Swierczewski verliert, muß man sich - auch als erfahrener Kritiker - völlig darüber im klaren sein, daß es selbst für das geübte Ohr völlig unmöglich ist, die Herbstsymphonie beim erstmaligen Anhören zu ergründen und in ihrer Ganzheit zu erfassen. Denn dafür ist sie viel zu raffiniert gegliedert und gleichzeitig viel zu klangreich, zu polyphon, zu gigantisch und zu exzessiv. Dies dürfte wohl auch der Grund dafür sein, daß eine Liveaufführung der Herbstsymphonie jedes Orchester dieser Welt vor eine große Herausforderung stellen wird. Stilverwandtschaft mit großen ZeitgenossenUm einen ungefähren Eindruck von der Herbstsymphonie zu bekommen, stelle man sich die Opern und großbesetzten Orchesterwerke von Schreker, Strauss und Korngold sowie die Symphonien von Bax, Howard Hanson und Vaughan Williams vor, denke nun an die glanzvollsten Passagen aus Meisterwerken wie "La Mer", "Daphnis et Chloé", "Poème de l'Extase", "Prometheus" und "Feuervogel", packe dies am Ende in die marxeigene Tonsprache und setze es nach der typischen Art des Komponisten in einen vielschichtigen, logisch und formal durchdachten Aufbau. Sicher wird nun klar, über welch ein betörendes, schwelgerisches Werk von riesenhaften Dimensionen wir hier sprechen. Meisterhafte Darbietung durch Dirigent und OrchesterIch durfte an den beiden Abenden zusammen mit jeweils rund eintausend Menschen miterleben, wie die völlig hemmungslos instrumentierte 75-minütige Herbstsymphonie von einem fast 100-köpfigen Ensemble unter der Leitung eines geradezu ekstatisch wirkenden Dirigenten mit höchster Konzentration und beispielloser Hingabe gespielt wurde. Dem Großen Orchester Graz und seinem Dirigenten Michel Swierszewski gelang das Kunststück, die schwärmerisch-glitzernden Klangwelten des Joseph Marx auf höchst beeindruckende Weise zum Leben zu erwecken. Selbst die allerschwierigsten, teilweise fast unmöglichen Passagen, bei denen das gesamte Orchester und das volle Schlagwerk technische Höchstleistungen vollbringen müssen, wurden mit Bravour gemeistert. Doch auch die ruhigeren, emotional-kontemplativen Partiturseiten interpretierte das Ensemble derart gefühlvoll, daß weite Teile des Publikums im Stefaniensaal ganz offensichtlich tief bewegt waren: Man sah in den Reihen um sich herum viele Menschen mit geschlossenen Augen dasitzen: friedlich lächelnd, sich vom Strom der rauschhaften Musik treiben lassend. Viele haben dabei wohl begriffen, daß sie gerade Zeuge eines denkwürdigen musikalischen Ereignisses wurden. Eine gigantische Flut der KlängeDie von Joseph Marx in seiner Herbstsymphonie dahergezauberte Klangwelt, die mit ihren zahllosen majestätischen Höhepunkten und opulenten symphonischen Durchführungen viel eher einer atemberaubenden, ehrfurchterregenden Achterbahnfahrt durch den Himalaja gleicht, tauchte den Stefaniensaal in eine beinahe unwirkliche Atmosphäre. Und vielleicht ist die Symphonie gerade deshalb so schwierig zu ergründen: Selbst bei mehrmaligem Anhören des gesamten Werkes (Generalprobe und die beiden Vorstellungen vom 24. und 25. Oktober) war es meinen Begleitern und mir, die wir alle viel Erfahrung mit dem "Konsum" üppig besetzter Großwerke der Spätromantik haben, kaum möglich, wirklich alles aufzunehmen, was da auf uns einströmte und unsere Sinne durchrüttelte - wie betäubt waren wir von den Wogen klanglicher Eindrücke. Ich möchte es einmal so beschreiben: Die Herbstsymphonie kommt mit ihrer vor Leidenschaft überschäumenden Kraft, Intensität und Exzessivität derart überraschend und ist dadurch im wahrsten Sinne des Wortes dermaßen überwältigend, daß ein jeder Zuhörer angesichts dieses ausschweifenden Wechselbades der Gefühle schon bald seine Unfähigkeit erkennen muß, das Werk unmittelbar zu erfassen. Und auch der hier möglicherweise entstehende Eindruck, die Herbstsymphonie sei unstrukturiert und somit trotz aller klanglichen Schönheiten belanglos, wird sich ungefähr ab dem vierten Anhören als großer Irrtum herausstellen: Die um nur vier Hauptthemen herum gewobene Partitur beinhaltet tatsächlich einen klaren Spannungsbogen, der im Verlaufe der einzelnen Sätze, die den Herbst in all seinen Phasen des emotionalen Erlebens schildern, konsequent aufgebaut wird und sich von der ersten bis zur letzten Minute der Symphonie erstreckt, und die vielen völlig unerwarteten Tonartwechsel, harmonischen Wendungen und Moll-Dur-Variationen zeugen von einer beispiellosen Kühnheit und geradezu beängstigenden Schöpferkraft des Komponisten, die sogar mich als ausgewiesenen Marx-Kenner völlig überrascht hat. Die Reise geht weiterSo entpuppt sich die Herbstsymphonie schon allein aus kompositorischer, aber auch aus klangpsychologischer Sicht als ein sehr außergewöhnliches Phänomen, wie es mir persönlich - auch in all den Jahren meines Studiums spätromantisch-impressionistischer Großwerke vieler anderer Komponisten - noch nie in dieser ungezügelten Form begegnet ist. Und daher vermag ich meine eigenen Gefühle, die mich während der beiden Vorstellungen (von denen mir die zweite vom 25. Oktober als "die gelungenere" in Erinnerung geblieben ist) überkamen, nicht so einfach mit Worten zu beschreiben. Tiefe Emotionen, ausgelöst durch die schier endlosen Klangmalereien und wiederkehrenden Motive, die überall in der Partitur versteckt sind, wechselten sich bei mir ab mit einer nachdenklichen Rückschau zum Beginn meiner Forschungsarbeit über Joseph Marx, die ja vor fünf Jahren - beinahe schon schicksalhafterweise - mit meiner "Suche nach der Herbstsymphonie" ihren Anfang genommen hatte. Für mich schließt sich somit gewissermaßen ein Kreis: Das anfängliche Ziel, irgendwann im Leben die Herbstsymphonie hören zu dürfen und sie vor allem von der Öffentlichkeit beachtet zu wissen, ist nun erreicht, und es erscheint mir aus jetziger Sicht nahezu unmöglich, im musikalischen Bereich noch etwas zu finden, das meinen Durst nach absolutem Wohlklang noch mehr stillen könnte als die Herbstsymphonie. Also stellt sich mir die Frage: Was kommt als nächstes und wie soll es nun weitergehen? Welchen Weg wird diese musikalische Reise nun einschlagen? An diesem Wendepunkt stehend, richte ich meinen Blick auf die Chorwerke von Joseph Marx, die Jahre vor der Herbstsymphonie entstanden sind und als einzige orchestrale Schöpfungen des Komponisten immer noch auf ihre Wiederentdeckung warten. Persönliche DanksagungNach alledem möchte ich nun, auch im Namen einiger tausend Marx-Fans aus aller Welt, von deren Existenz ich weiß, dem mutigen Intendanten des Großen Orchesters Graz und der Styriarte-Organisation, Herrn Mathis Huber, dem faszinierenden und so unglaublich vielseitigen Dirigenten Michel Swieczewski und allen von mir tief verehrten Mitgliedern des Orchesters von Herzen danken und meine große Bewunderung aussprechen. Ich wünsche dem Ensemble und seiner Leitung auch für die Zukunft viele weitere Erfolge und hoffe, daß die Orchester- und Chorwerke von Joseph Marx demnächst nicht nur in seiner Geburtsstadt, sondern auch anderenorts in Österreich sowie in vielen anderen Ländern gespielt und einem klangverwöhnten Publikum präsentiert werden. DIE REZEPTION DER GRAZER HERBSTSYMPHONIE-AUFFÜHRUNGENStimmen aus dem Publikum:"Die mutige Wiederentdeckung der monumentalen Herbstsymphonie fiel durchaus überzeugend aus, da es dem mit dieser Aufführung endgültig zum Profi-Ensemble avancierten, diesmal hundertköpfigen Recreation-Orchester Graz eindrucksvoll gelang, die üppig-schwelgerischen Farben dieses saisonalen Riesengemäldes sinnlich zum Klingen zu bringen." "... ein 75 Minuten dauerndes, viersätziges Tonpoem, als dessen Inspirationsquelle die untersteirische Herbstlandschaft in ihren mythologischen, ja sogar existenzialistischen Bezügen diente. In ihren besten Passagen entfaltet Marx abschiedsgetränkte Kantilenen, farbenprächtig-leuchtende Klangbögen und geradezu rauschhaft-ekstatische Sinnlichkeit." "... ermangelt der Komposition eine innere Ruhe, in den Worten Goethes so etwas wie 'eine leere Mitte', in der man als Hörer innehalten könnte." "Dirigent Michel Swierczewski leistete bewundernswert perfekte kapellmeisterliche Arbeit ... Ihm, den blendend disponierten Musikern sowie dem Veranstalter gebührt an dieser Stelle ein Oscar für gelungene Verdienste um zu Unrecht vergessene Werke genuin österreichischer Symphonik." "Kronen Zeitung", 27.10.2005 (Martin Gasser): IN SCHMACHTENDEM SCHÖNKLANG "Ein Vollbad in fast schon unwirklich üppigem Schönklang nahm das Orchester "recreation" unter der Leitung von Michel Swierczewski im Stefaniensaal. Mit der seit 80 Jahren ersten Aufführung der Herbstssymphonie des Grazer Komponisten Joseph Marx gelang so etwas wie das Konzert des Jahres." "In golden schimmernden Harmonien erzählt Marx in fast irrealem Schönklang vom sonnigen Herbst. Melodien wie fette, süße Weintrauben feiern da ein Naturfest üppigster Art." "Marx schuf narkotisch-betörende Musik, die den Intellekt förmlich auszuschalten sucht, in einem immerwährend scheinenden polyphonen Strömen Natur und Schönheit beschwört." "Die Musik trägt so eigenbrötlerisch-versponnene Züge, dass sie sich einer ideologischen Nutzbarmachung letztlich verweigert. Mit Marx ist kein Staat zu machen, sondern höchstens ein Luftschloss zu bauen." "... glaubwürdige Umsetzung dieses sinnlichen, schier endlosen Webens der Lyrismen. Fast über die ganzen 74 Minuten konnte man die Spannung aufrecht erhalten. Mit der Wiederaufführung dieses sonderbaren Stücks eines genialischen Eigenbrötlers gelang "recreation" so etwas wie das Konzert des Jahres." "Kleine Zeitung", 26.10.2005 (Ernst Naredi-Rainer): MARX SCHWELGT IM ÜBERSCHWANG "Zu neuem Leben erweckt wurde eine Partitur, deren monumentale Ausmaße bei Anton Bruckner und Gustav Mahler anknüpfen, ohne aber über deren Kontrastreichtum zu verfügen. Marx schwelgt meist im Überschwang, und das 70 Minuten lang." "Außer Frage steht die handwerkliche Meisterschaft des Komponisten. Seine Themenbehandlung und seine Polyphonie weisen mehr Kunstfertigkeit auf, als sich beim ersten Hören erschließt." "... erweckt die Herbstsymphonie den Eindruck, hier sei es dem unverdrossen der Spätromantik huldigenden Komponisten darum gegangen, die Instrumentationskunst eines Richard Strauss noch zu übertreffen. Der mit vielen hübschen Soli gespickte, mild schillernde Farbreichtum der Partitur verfehlt jedenfalls nicht seine Wirkung und wird von Michel Swierczewski und seiner Hundertschaft entsprechend effektvoll ausgebreitet." "Der Standard", 26.10.2005 (Peter Vujica): GURRELIEDER OHNE WORTE "... mitunter geradezu betäubende Dezibelladungen..." "Denn in die Klangwelt von Joseph Marx muss man sich einhören. Noch weniger als Korngold oder Schreker bietet die kaleidoskopisch variable und in ihrer vieldeutigen Chromatik meist unfixiert bleibende Harmonik, die er seiner schwärmerischen Melodie unterlegt und mit der er sie immer neu maskiert, nur wenige herkömmliche akustische Anhaltspunkte." "... erreicht die eigenwillige Kompositionstechnik von Marx nicht nur durch ihre akustischen Auswirkungen Extremwerte, sondern auch im Hinblick auf ihre strukturelle Dichte und auf ihre labyrinthische Form. Sind es doch nur zwei Tonfolgen, aus denen dieser vierteilige Hymnus auf die herbstliche steirische Landschaft ersteht." "Wer hier idyllische Pseudofolklore erwartet, irrt. Der Ton, den Marx anschlägt, zeugt überregionale Information. Er bezieht sein Vokabular hörbar von Debussy und bis in manche Details der Instrumentierung auch von Alexander Skrjabin." "Was an dieser Herbstsymphonie fasziniert, dass es sich bei diesem Werk trotz aller dynamischer Massierungen um nichts weiter als vier Lieder handelt. Und trotz aller harmonischer Verwirrungen, wie sie durch die mit Themenzitaten polyfon verspiegelten Akkordtürme ausgelöst werden, bleibt Marx in seinen nur scheinbar rondoartigen amorphen Gebilden stets stringent. Die Maßlosigkeiten, die er sich dabei in allen Aspekten herkömmlicher Symphonik erlaubt, sind ohne Beispiel." "Das Flirren und der hymnische Gesang der Streicher, die Attacken der Schlagzeugbatterie, die stete Unruhe, in die Marx das niemals satt und fad klingende Blech versetzt, die jähen Farbwechsel, die er durch manch gefinkelten Mediantenschritt erreicht, vereinigen sich zu einem akustischen Dauerrausch mit einer endlosen Serie von ekstatischen Höhepunkten." "Die Wiedergabe dieses Werkes wird naturgemäß für jedes Orchester zu einer Materialschlacht, deren Ausgang unsicher ist. Die Hundertschaft des großen Orchesters von "recreation" ist der Herbstsymphonie unter der Führung von Michel Swierczewski keineswegs unterlegen." "Auch wenn sich die Klangwelt von Joseph Marx für die Ausführenden ebenso wie für die Zuhörer nicht ganz spontan erschließbar erwies, waren Beifall und Freude am Ende beträchtlich." http://www.joseph-marx.org/ © 2001-2006 Berkant Haydin Besuche: |