Deutscher Booklet-Text (Beiheft) zur CD "Lieder von Joseph Marx und Wilhelm Kienzl" (Mitra CD)

Bislang immer noch nicht gänzlich gelüftet ist das Rätsel, warum Joseph Marx auch heute noch nicht zu den bedeutensten Größen der Musik des 20. Jahrhunderts gezählt wird, obwohl er über Jahrzehnte hinweg eine Schlüsselposition in der Wiener Musikszene innehatte und im Laufe seines Lebens mit Ehrungen geradezu überhäuft wurde.

Ein Indiz für seinen hervorragenden Ruf ist die Verpflichtung nach Ankara (1932-33), als Marx unter der Atatürk-Regierung erster Berater für den Aufbau des türkischen Musik- und Konzertlebens sowie des Konservatoriums wird - später werden Hindemith und Bartok seine Nachfolger.

Wilhelm Furtwängler bezeichnet Marx 1952 als den Führer des musikalischen Österreich.

1882: Graz - Joseph Marx wird als Sohn eines Arztes und einer Pianistin geboren.

Schon sehr früh befaßt sich der junge Marx mit der Kunstform des Gedichtes. Im Mittelpunkt seines Interesses steht das 'bewußte Naturerleben', was ihn zeitlebens begleitet. Musikalisch steht er in dieser Phase unter dem Einfluss von Debussy und Skrijabin, die er beide verehrt.

1900: Zur Zeit seiner Matura um die Jahrhundertwende schreibt er zahlreiche, bislang unveröffentlichte Orgel- und Klavierwerke und arrangiert Trio- und Quartettstücke. Er gilt als brillanter Pianist und Liedbegleiter - eine Eigenschaft, die ihm bis ins hohe Alter attestiert wird.

1906: Im Alter von 24 Jahren lernt Marx die Sängerin Anna Hansa kennen, die enge Kontakte zur Musiker- und Künstlerszene pflegt. Es entwickelt sich eine lebenslange Liebesbeziehung zwischen den beiden. In den Folgejahren wird Anna Hansa zur gefragten Liedinterpretin des vielversprechenden Komponisten. In den Folgejahren bis 1912 komponiert Marx einen Großteil seiner insgesamt 150 Lieder, von denen später viele weltbekannt werden (gesungen von Lotte Lehmann, Ljuba Welitsch, Elisabeth Schumann, Arleen Auger, Hermann Prey uva.)

Alexius v. Meinong (Erkenntnistheoretiker, 1853-1920), Vittorio Benussi (Experimentalpsychologe, 1878-1927) und Anton Wildgans (Dichter, 1881-1932,) zählen zu Marx' Diskussionspartnern und engen Freunden. Gemeinsam mit von Meinong und Benussi erforscht er die psychologischen Rätsel der Musik mit dem Ergebnis, daß es sich bei der Tonalität um ein mit dem Intellekt und Herzen des Menschen untrennbar verbundenes, universelles Gesetz der Natur handeln muss.

Marx studiert Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Archäologie in Graz und promoviert zum Doktor der Philosophie.

1914: Er wird Professor für Theorie an der Musikakademie in Wien. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits der meistgesungene Liederkomponist Österreichs.

1911-1932: Marx vollendet in dieser Zeit eine Reihe von Chorwerken, das Romantische Klavierkonzert und sein Hauptwerk, die Herbstsymphonie. sowie viele weitere sehr reizvolle Orchesterwerke, Streich- und Klavierquartette, Violinsonaten, ein Klaviertrio, Cellowerke, Kammermusik mit Singstimme und exquisite Klavierstücke, die als Perlen der Klavierliteratur gelten.

1922: Marx übernimmt die Leitung der Musikakadamie in Wien von Ferdinand Löwe und wird später zum ersten Rektor der Hochschule für Musik ernannt. Nachdem er insgesamt 1.255 Studenten aus aller Welt unterrichtet und sich sehr aktiv als Musikkritiker betätigt hat, zieht er sich Mitte der Fünziger Jahre aus seiner Lehr- und Kritikertätigkeit zurück. Er gilt zu diesem Zeitpunkt als einer der angesehensten Vertreter der ernsten Musik Österreichs.

U.a. mit Wilhelm Kienzl, Alois Melichar und Franz Schmidt ist er ein einflußreicher Gegner der Neuen Wiener Schule. Als Jurymitglied bei verschiedenen nationalen und internationalen Kompositionswettbewerben argumentiert Marx in seiner scharfsinnig-bissigen Art gegen den Schönberg-Kreis und lässt an den atonal-polytonalen Nachwuchskomponisten kein gutes Haar. Dennoch genießt Marx in der internationalen Komponistengemeinde hohes Ansehen. Sophie Carmen Eckhardt-Grammaté (1902-74), russisch-kanadische Komponistin bescheinigt ihm sogar, dass seine Werke Epoche gemacht hätten. Im Gegensatz dazu steht die irrige Annahme, Marx sei ein erzkonservativer, ja rückschrittlicher Komponist - eine leicht zu widerlegende Behauptung, vergleicht man seine Werke mit der zeitgenössischer Kollegen.

Der Cellist Pablo Casals bringt den großen Einfluss des Komponisten mit den folgenden Worten auf den Punkt: "Marx ist für die Erhaltung der Musikkultur der Zukunft absolut nötig! Die Non-musique gewisser berühmter Zeitgenossen ist dem Untergang geweiht."

1964: Im Alter von 82 Jahren stirbt Joseph Marx. Aufgrund seiner herausragenden Verdienste als Komponist, Musikkritiker und Pädagoge nimmt er einen bedeutenden Platz in der mitteleuropäischen Musikgeschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts ein.

© Berkant Haydin



 Zurück zur Diskographie (deutsche Seite)



http://www.joseph-marx.org/   © 2001-2006 Berkant Haydin     Besuche: Kostenloser Counter von Internet Service Dienste