"Orchesterlieder" von Joseph Marx auf ASV: Kritik in Diapason, Ausgabe Dezember 2004

Bereits von der ersten Note an wird man von einer Anmut in den Bann gezogen, deren Perfektion nicht von der Hand zu weisen ist. Der Wohlklang schmückt sich ganz natürlich und auf raffinierte Weise mit einem harmonischen Kleid. Die Musik fließt Hand in Hand mit dem Text bis zu dem Punkt, an dem man sich sogar fragt, wie das Gedicht wohl weitergehen könnte. Die Schönheiten der Natur und die Sinnesfreuden sind die sich ergänzenden Kräfte in diesen bewegten Stücken voll jugendlicher Inbrunst. Die Mehrzahl der Stücke ist bereits vor Marxens dreißigstem Lebensjahr entstanden, und ihr riesiger Erfolg erhob ihn auf den Olymp des Wiener Musiklebens.

Ebenso wie Strauss hat auch Marx sich mit außergewöhnlichem Erfolg von den "Sahnetörtchen" losgelöst, die den Ruf der Wiener Kaffeehäuser ausmachten. Nicht anders als Zemlinsky hat er die Wiener Romantik trotz Schönbergs zeitgleichem Einfluß fortleben lassen. Marxens lyrische Melodien reichen bis hin zur Sentimentalität, und doch sind sie raffiniert, ja regelrecht fein und anspruchsvoll. Sie erinnern bisweilen an Strauss, Delius und Respighi. Doch Marx läßt gleichwohl eine unnachahmbare Atmosphäre entstehen, wie sie für diejenigen Komponisten typisch ist, denen Korngold, Waxman und Hollywood eigentlich alles zu verdanken haben.

Wie Mendelssohn ist auch Marx ein Vorkämpfer für die in sich ruhende Schönheit: Ein Beweis dafür, daß das Glück die Musik auch dominieren kann, wenn diese von Qualen und Leiden inspiriert wurde. Dies ist auch der tiefere Sinn des bemerkenswerten Zyklus "Verklärtes Jahr", der Gipfel des Marxschen Vokalwerkes: Der Charakter der Vergänglichkeit, verschleiert im Nebel der Nostalgie. Hier erstarrt alles in Ehrfurcht vor dem Enthusiasmus himmlischer Erneuerung. Ein Denkmal für die Schätze der Antike und die Landschaften der Toscana, wo der Gott Pan umhergeisterte, und - um es am präzisesten zu beschreiben - leuchtender Impressionismus mit dem Glanz Ravelscher Tonkunst. Die schöne Klangfarbe der Solistinnen, ihr Feingespür bei der Interpretation der Texte (wie aus der Ferne klingend und etwas zurückhaltend, wobei der Ausdruck bei Angela Maria Blasi manchmal ein wenig unausgewogen erscheint) und ihr leidenschaftlicher Einsatz finden in Steven Sloane den idealen Partner, und so wird diese Aufnahme zu einem Moment reiner Glückseligkeit.

Michel Fleury

TECHNIK: 8/10

Orchesterklang schön ausgeglichen.
Gesamtklangbild zufriedenstellend.
Gesang leicht verständlich.

(Aus dem Französischen übersetzt von Martin Rucker und Berkant Haydin)



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