Joseph Marx: ASV Vol. 3 und 4 - Kritik in Classica Repertoire, Ausgabe September 2005

Alt-Wiener Serenaden u.a. (Vol. 3) und die Klavierkonzerte (Vol. 4)

Das ist Musik, die Hörer und Interpreten erfreut: Überschwang an Melodie, gesteigert durch reiche impressionistische Harmonik, präsentiert in einer Orchestrierung, die sämtliche Möglichkeiten des Orchesterapparates raffiniert und detailreich ausschöpft. Das Soloinstrument als Botschafter wilder und enthemmter Empfindungen. Diese üppige Musik ist das Werk eines Genießers, der wusste, wie er seine Lebenskraft, seine Unbändigkeit und seinen Optimismus kompositorisch verarbeiten konnte. Marx benutzte die selbe romantisch-impressionistische Tonsprache wie Schrecker, einem der letzten österreichischen Romantiker, jedoch aus einer anderen Perspektive: Während Schrecker sich mit einer düsteren, fast endzeitlichen Atmosphäre vergnügt, lässt Marx den Blick weit über die Wälder und Hügel seiner steirischen Heimat walten. In dieses Ideal reiht sich das Romantische Klavierkonzert, das Pracht, Jubel und Freude in feierlicher Handschrift zum Tönen bringt. Der Komponist scheint die Schatten der großen Meister in sein Werk einladen zu wollen: Brahms und Bruckner, zusammen mit Delius, Debussy und Skrjabin; für die höchste Ehrung dieser "pianistischen Heldenzeit" ist Strauss übrig geblieben. Gegen alle Erwartungen führt dieser Eklektizismus zur Herausbildung eines markanten Personalstils: Ehe es den Begriff Hollywood gab, griff Marx in seiner Klangfülle den Stil der Filmmusik [der 40er und 50er] voraus - im Übrigen klingt dieser Stil bei Korngold an, für den Marx als geistiger Vater fungierte.

Gieseking mochte Marx sehr. Marx widmete ihm sein 2. Klavierkonzert. Selbst italienischer Abstammung, richtet Marx seinen Blick nach Rom, wo er historische Orte rühmt: Die Überreste des Palastes des Kaiser Hadrian, der Villa des Poeten Cicero und die bunten Tavernen in den modernen Vorstädten. Möglicherweise wurden Respighi und Ravel dazu verpflichtet, das Werk mit aus der Taufe zu heben: Mit schimmernden Farben, ungemein beschwörend, steigert sich dieses Tongemälde, bis einem der Atem wegbleibt, bis hin zu einem strahlend triumphalen Glanz. Eine Annäherung von Fülle und Geschlossenheit, eingestimmt auf die reiche Komplexität der Musik: David Lively interpretiert sie ausgezeichnet. Er ist in der Lage, den poetischen Gehalt zu übermitteln, und zwar mit einer Intensität, die sich um so mehr im Gespür des tempo giusto befindet, aber ohne ein exzessives Durchbrennen der Gefühle. Seine Interpretation des Werkes ist in jedem Falle besser als die von Marc André Hamelin (Hyperion), der es denaturiert, in dem er es auf eine reine Etude trockener Virtuosität reduziert, "im Stile Saint-Saens". Livelys Aufnahme steht der unvergesslichen von Jorge Bolet nahe, für den das Romantische Klavierkonzert, nach eigenem Eingeständnis, das Lieblingskonzert war (u.a. mit Zubin Mehta und Marek Janowski als Dirigenten). Steven Sloane fügt eine relativ bescheidene Orchesterleistung hinzu, die in der Aufnahme eher mittelmäßig hervortritt. Glücklicherweise war das Orchester durch die vorangegangenen öffentlichen Konzerte gut in Übung.

Wie viele andere auch (Schrecker: Christophorus) zügelte Marx in den 1930er Jahren seine überschwängliche Natur und seinen Hang zum Überschwang und wechselte zur Hingabe an die neoklassizistische Muse. Die musikalische Meisterschaft dieses großen Theoretikers und Professors führt ihn zur stilistischen Nachahmung auf hohem Niveau: Den Serenaden "im alten Wiener Modus" mangelt es weder an Humor noch an Glanz, welcher an den Geist von Bach, Haydn und Mozart erinnert und durch impressionistische orchestrale Schönheit hindurchführt. Hingegen sind die Partita und die Sinfonia nur für ein Streichorchester angelegt. Ihre modale Struktur, der Kontrapunkt und der archaische Klang stammen aus der Feder eines scharfsinnigen und sensiblen Intellektuellen in der Art unseres Koechlin. Steven Sloane hat die Polyphonie der Musik intelligent herausgearbeitet. Deren Perfektion suggeriert ein bisschen Kühle, wie das romantische Temperament generell ein bisschen fehlgeht in diesen französischen Sphären: Ein unerwarteter Abstecher guten Geschmacks, keineswegs zum Missfallen der Anhänger des Neoklassizismus.

Mit Ungeduld erwartet man nun die letzte CD dieser Gesamtausgabe (von ASV für Anfang 2006 vorgesehen), die eines der bedeutendsten Meisterwerke der Postromantik enthüllen wird: Die Herbstsymphonie, ein sagenumwobenes Werk von etwa 90 Min. Dauer, auf einer Doppel-CD in Verbindung mit der Nordlandsrhapsodie, die ihrerseits durch die "Islandfischer" von Pierre Loti inspiriert war... Die Herbstsymphonie wird übrigens in Graz, der Geburtsstadt des Komponisten, am 24. und 25. Oktober 2005, aufgeführt.

Michel Fleury

Vol. 3 bekam 7 von 10 Punkten
Vol. 4 bekam 9 von 10 Punkten

(Aus dem Französischen übersetzt von Martin Rucker; editiert von Berkant Haydin)



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